Epigenetik Trauma: Beeinflussen Erlebnisse unsere Gene?
Die wichtigsten Fakten über ein Epigenetik Trauma zuerst:
- Traumatisierungen sind seelische Verletzungen, welche durch extrem belastende Situationen (zum Beispiel Kriege, Gewalttaten) entstanden sind.
- Traumatische Erlebnisse können die physische und psychische Gesundheit langfristig beeinträchtigen.
- Epigenetische Studien deuten darauf hin, dass Traumatisierungen vererbbar sind.
- Die Nachkommen traumatisierter Personen können ähnliche Symptome entwickeln, die sich in körperlichen Beschwerden oder Verhaltensänderungen äußern können.
- Eine positive Umwelt kann unter Umständen die Folgen eines Traumas und das Risiko der epigenetischen Weitergabe verringern.
Was ist ein Trauma?
Ein Trauma (Mehrzahl: Traumata) ist eine psychische Ausnahmesituation, in die Menschen geraten können, wenn sie einer überwältigenden Bedrohung ausgesetzt sind. Typische Beispiele dafür sind Kriege, (Natur)Katastrophen, Unfälle sowie psychische, körperliche oder sexualisierte Gewalttaten wie Vergewaltigungen.
Fast jeder Mensch gerät im Laufe seines Lebens in eine potenziell traumatische Situation, doch nicht immer hat diese Situation psychische Folgen. Doch wenn die betroffene Person das belastende Ereignis nicht bewältigen und verarbeiten kann, sprechen wir von einem traumatischen Ereignis.
Was gibt es für Symptome?
Die Deutsche Traumastiftung beschreibt das bildhaft als eine seelische Verletzung, welche sich auf unterschiedliche Weise bemerkbar machen kann. So verschieden die Menschen und ihre traumatischen Erlebnisse sind, so verschieden können auch ihre Reaktionen auf diese Erlebnisse ausfallen.
Grundsätzlich lassen sich dabei drei Arten von Reaktionen beziehungsweise Symptomen unterscheiden:
- Körperliche Reaktionen: erhöhter Puls und Blutdruck, Zittern, Schwitzen, Atemnot, Schüttelfrost
- Emotionale Reaktionen: Erschöpfung, Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit, Orientierungslosigkeit, Gereiztheit
- Kognitive Reaktionen: Konzentrationsprobleme, Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung, Gedächtnisverlust, Sprachprobleme
Eines haben traumatisierende Erlebnisse jedoch gemeinsam: Sie brauchen – ähnlich wie eine körperliche Verletzung – Zeit zum Verheilen. Bei manchen Menschen reichen hierfür die eigenen Selbstheilungskräfte aus.
Andere Betroffene entwickeln eine Traumafolgestörung wie zum Beispiel eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), welche oftmals nur mit einer gezielten Traumatherapie behandelt werden kann.
Die Erfahrung extremer Stresserlebnisse kann sich jedoch nicht nur auf das Leben der betroffenen Person selbst auswirken, sondern auch auf deren Nachfahren.
Kann eine Traumatisierung vererbt werden?
Zunächst glaubten Wissenschaftler, dass sich traumatisierte Personen ihren Nachkommen gegenüber anders verhalten und sie auf diese Weise die Traumafolgen zu spüren bekommen. Offenbar gibt es aber auch eine epigenetische Komponente, über die die Folgen weitergegeben werden können.
Schweizer Wissenschaftler haben die negativen Auswirkungen von traumatischem Stress auf nachfolgende Generationen in Mäuseversuchen nachgewiesen.
Sie haben Mäuse nach der Geburt starkem Stress ausgesetzt, indem sie sie unter anderem von ihren Müttern trennten oder ihre Beweglichkeit einschränkten. Im Erwachsenenalter zeigten diese Tiere verschiedene Verhaltensauffälligkeiten, zum Beispiel ein ausgeprägtes Risikoverhalten und kaum noch Scheu vor Licht oder Wasser.
Was Forscher überraschte: Die Kinder (und sogar Enkel und Urenkel) dieser traumatisierten Mäuse, zeigten ein ähnliches Verhalten – obwohl sie selbst keiner traumatisierenden Situation ausgesetzt waren. Die Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Traumafolgen können vererbt werden.
Wie werden traumatisierende Erlebnisse vererbt?
Wie genau die Vererbung von traumatischen Erlebnissen erfolgt, ist noch nicht endgültig geklärt. Auf der Basis bisheriger Forschungsergebnisse nehmen Wissenschaftler an, dass der erlebte Stress bewirkt, dass sich an einigen Zellen bestimmte Abschnitte der DNA verändern.
Diese Veränderung betrifft nicht die DNA selbst, sondern die Lesbarkeit einzelner Gensequenzen. Konkret dockt eine bestimmte Methylgruppe an DNA-Abschnitten an und sorgt dafür, dass diese Abschnitte nicht mehr lesbar sind.
Dieser Vorgang (“Methylierung“) geschieht vor allem im Hippocampus. Dieser Bereich des Gehirns ist für die Genregulation von Stress und Angst verantwortlich.
Eine Methylierung hat zur Folge, dass sich in den Zellen mehr Rezeptoren bilden, wodurch sich auch das Verhalten ändert. Diese Veränderung geht auch in den Keimzellen vonstatten, sodass hiervon auch der Nachwuchs betroffen ist. Was diesen Prozess auslöst, ist allerdings noch unklar.
Möglicherweise hängt es mit der übermäßigen Produktion von Stresshormonen zusammen, die in stark belastenden Situationen auftreten.
Möglicherweise werden Traumafolgen auch über das Blut weitergegeben. Das Forscherteam von der ETH Zürich hat herausgefunden, dass sich das Blut von traumatisierten Tieren von nicht traumatisierten Tieren unterscheidet, insbesondere hinsichtlich des Fettstoffwechsels.
Diese Unterschiede im Fettstoffwechsel wiesen auch die Nachkommen der traumatisierten Tiere auf. Für die Forscher ist dies ein Hinweis auf die Übertragung von Stressbotschaften über das Blut.
Interessant: Ähnliche Blutveränderungen fanden die Wissenschaftler auch bei traumatisierten Kindern. Um mehr über die genauen Hintergründe und die Funktionsweise der Epigenetik von Traumata zu erfahren, sind jedoch noch weitere Untersuchungen nötig.
Wie machen sich vererbte Traumafolgen bemerkbar?
So verschieden wie die Symptome traumatisierter Personen sind, so unterschiedlich können sich diese auch bei ihren Nachkommen bemerkbar machen. Diese können beispielsweise im Vergleich zu Personen ohne traumatisierte Vorfahren:
- ängstlicher sein (zum Beispiel häufigere Angst vor neuen Situationen oder soziale Ängstlichkeit)
- mehr Stress empfinden (bereits alltägliche Herausforderungen werden als belastender empfunden)
- eine ausgeprägte körperliche Stressreaktion zeigen (zum Beispiel in Form einer verstärkten Ausschüttung von Stresshormonen)
- anfälliger für stressbedingte Erkrankungen wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Stoffwechselstörungen sein
- ein erhöhtes Risiko für Suchterkrankungen haben (beispielsweise verstärkter Konsum von Alkohol oder Nikotin als Stressbewältigung)
- verstärkt auch Depressionen (länger anhaltende depressive Episoden nach belastenden Ereignissen)
- chronische Müdigkeit
- Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen erleben und/oder zu Bindungsproblemen neigen
- Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zeigen (zum Beispiel Flashbacks, Vermeidungsverhalten oder Schlafstörungen)
Ob und in welcher Form sich eine vererbte Traumatisierung äußert, ist individuell höchst unterschiedlich. Eine wichtige Rolle kommt hierbei der Umwelt zu. Sie hat nicht nur einen Einfluss auf das Erleben und Bewältigen einer traumatischen Situation, sondern kann auch die Vererbung von traumatisierenden Erlebnissen beeinflussen.
Welchen Einfluss haben Umweltbedingungen auf die Trauma-Vererbung?
Es gibt verschiedene Überlegungen zum Einfluss der Umwelt auf die Epigenetik von Traumata. Es ist denkbar, dass das Risiko einer Vererbung umso höher ist, je ausgeprägter und belastender die Ausnahmesituation für die betroffene Person ist.
Besonders belastend ist ein traumatisches Erlebnis, wenn die Betroffenen keine soziale Unterstützung und/oder keinen Zugang zu medizinischen oder gesellschaftlichen Ressourcen haben.
Darüber hinaus spielen in der Epigenetik auch Ernährung und Lebensstil eine Rolle – in welcher Form, ist noch unklar. Hier besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.
Ob sich die Weitergabe der traumabedingten epigenetischen Veränderungen durch positive Umweltbedingungen oder eine psychotherapeutische Behandlung verhindern lässt, ist ebenfalls noch ungewiss.
Möglicherweise werden diese Veränderungen einfach unterdrückt und sie kommen erst dann zum Vorschein, wenn die Person selbst ein traumatisches Erlebnis hat. Dann könnte das Risiko für Traumafolgen höher sein als bei nicht vorbelasteten Personen.
Lässt sich mit Epigenetik ein Trauma heilen & die Vererbung rückgängig machen?
Ja, das scheint unter gewissen Bedingungen möglich zu sein. Zumindest gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, welche darauf hindeuten, dass unter bestimmten Umständen die Folgen der Epigenetik abgemildert werden können.
Das Forscherteam um Isabelle Mansuy, Professorin für Neuro-Epigenetik an der ETH Zürich, führte hierzu ebenfalls einen Versuch mit Mäusen durch. Dabei trennten sie neugeborene Mäuse zeitweilig von ihren Müttern, was bei den Tieren traumatischen Stress auslöste.
Dieser Stress führt zu einer Verhaltensänderung, die auch bei den Nachkommen der Mäuse noch zu beobachten ist. Die Schweizer Wissenschaftler konnten diese Verhaltensänderung jedoch wieder rückgängig machen, indem sie die betroffenen Tiere einer besonders stressarmen Umgebung aussetzten.
Diese zeichnete sich durch viel Platz im Käfig und Abwechslung aus. Eine abwechslungsreiche Umgebung stimuliert die Sinne der Tiere und regt sie zum Spielen und Erkunden an, was sich positiv auf die physische und psychische Gesundheit auswirkt. Die Folge: Weder diese Tiere noch ihre Nachkommen zeigten Anzeichen eines Traumas.
Auch wenn sich diese Befunde nicht direkt auf den Menschen übertragen lassen, sind sie doch vielversprechende Hinweise darauf, dass vererbte Traumatisierungen kein unausweichliches, unveränderbares Schicksal sind.
Das lässt darauf hoffen, dass betroffene Personen und ihre Nachkommen traumatischen Erlebnissen nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern mit professioneller Unterstützung erheblich an Gesundheit und Lebensqualität gewinnen können.
Epigenetik und Stressbewältigung: Schlüsselrolle einer positiven Lebensführung
Stress spielt eine Schlüsselrolle, wenn es um Veränderungen auf genetischer Ebene geht, aber die gute Nachricht ist: Du kannst aktiv gegensteuern! Eine gesunde Lebensführung bietet Dir dabei vielfältige Ansätze, um die negativen Effekte von Stress auf Deine Gene abzumildern.
- Achtsamkeit und Entspannungstechniken: Regelmäßige Pausen für Körper sowie Geist sind essenziell. Ob Yoga, Meditation oder Atemübungen – all diese Methoden reduzieren die Ausschüttung von Stresshormonen und fördern die Produktion von „guten“ Genaktivitäten, die mit Erholung und Regeneration in Verbindung stehen. Warum nicht jeden Tag mit einer kurzen Achtsamkeitsübung beginnen? Bereits 10 Minuten können ausreichen, um positive Effekte zu erzielen.
- Bewegung: Stress fördert Entzündungsprozesse im Körper – Sport hingegen bremst diese aus. Durch regelmäßige Bewegung aktivierst Du Gene, die für eine bessere Stressregulation und Erholung sorgen. Selbst leichte Bewegung, wie Spaziergänge oder leichtes Joggen, kann helfen, den Körper zu entlasten und Deine Genaktivität ins Gleichgewicht zu bringen.
- Ernährung: Stress beeinflusst nicht nur Dein Wohlbefinden, sondern auch Deine Ernährungsgewohnheiten. Der Körper greift oft auf „schnelle“ Energie in Form von Zucker oder Fetten zurück. Doch eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse und gesunden Fetten kann helfen, die epigenetischen Stressmarkierungen zu minimieren. Nährstoffe wie Omega-3-Fettsäuren und Antioxidantien unterstützen Deinen Körper dabei, auf Stress langfristig besser zu reagieren.
- Soziale Verbindungen: Soziale Unterstützung ist ein oft unterschätzter Stresspuffer. Zeit mit Freunden und Familie hilft dabei, Stress abzubauen und positive Gefühle zu fördern. Dies wirkt sich auf Deine gesamte Gesundheit aus – inklusive Deiner epigenetischen Marker. Baue also regelmäßig soziale Aktivitäten ein, um Stress präventiv zu begegnen und die Auswirkungen zu verringern.
Ein stressfreier Lebensstil wirkt sich also nicht nur auf Dein aktuelles Wohlbefinden aus, sondern kann langfristig auch Deine Gene „neu programmieren“. Kleine, aber nachhaltige Veränderungen wie regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung und bewusste Entspannungstechniken können Dir dabei helfen, die Kontrolle über Deine epigenetische Stressreaktion zu übernehmen.