Epigenetische Vererbung: Veränderungen über Generationen

Epigenetische Vererbung

Umweltfaktoren können die Genaktivität und Genexpression verändern. Doch nicht nur in den betroffenen Organismen, sondern auch in deren Nachkommen. Verschiedene epigenetische Mechanismen ermöglichen die Weitergabe dieser Veränderungen an die nächste Generation.

Die epigenetische Vererbung birgt großes Potenzial: Menschen können dieses Potenzial nutzen, um Krankheiten früher zu erkennen und gezielter zu behandeln. Diese Möglichkeiten eröffnen sich durch den gezielten Einsatz der Epigenetik.

Grundlagen der Epigenetik

Um die epigenetische Vererbung zu verstehen, sollten wir die Grundlagen dieses Fachbereichs kennen. Wichtig ist zu verstehen, was die Epigenetik von der klassischen Genetik unterscheidet und welche Rolle die genetische Modifikation bei der Genexpression spielt.

Der Unterschied zwischen Genetik und Epigenetik

Genetik und Epigenetik sind zwei eng verbundene, jedoch deutlich unterschiedliche Bereiche der Biologie. Die Genetik befasst sich mit der DNA-Sequenz selbst, also der Abfolge der Basenpaare, welche unsere Gene definieren.

Diese Sequenz ist festgelegt und verändert sich höchstens durch Mutationen, also dauerhafte Veränderungen in unserem genetischen Code.

Im Gegensatz dazu fokussiert sich die Epigenetik auf die Prozesse, welche festlegen, wie und wann bestimmte Gene aktiviert oder deaktiviert werden. Diese Regulation erfolgt, ohne dass dabei die DNA-Sequenz dauerhaft verändert wird.

Chemische Markierungen an der DNA und den Histonen spielen eine zentrale Rolle. Histone sind Proteine, welche unter anderem für den Schutz und die Kompartimentierung der DNA zuständig sind. Diese Markierungen können durch verschiedene Faktoren wie zum Beispiel Ernährung, Stress und Umweltbedingungen beeinflusst werden und sind veränderbar.

Während die genetische Information in der DNA-Sequenz festgeschrieben ist, ermöglicht die Regulation der Genaktivität eine flexible Anpassung an sich ändernde Umgebungsbedingungen.

Ein Beispiel aus dem Alltag ist die Reaktion unserer Haut auf Sonnenlicht: Zellen sind in der Lage, Gene zu aktivieren, welche zur Produktion von Melanin führen, um die Haut vor UV-Strahlung zu schützen. So bietet die Anpassung der Genexpression unseren Zellen die Möglichkeit, auf kurzfristige Veränderungen zu reagieren.

Gleichzeitig sichern die genetischen Informationen langfristige Eigenschaften, wie zum Beispiel unsere Körpergröße. Diese bleiben über unsere gesamte Lebensspanne weitgehend konstant und sind ein festgelegter Teil unseres genetischen Erbes.

Das epigenetische Prinzip in der Regulation von Genexpression

Das epigenetische Prinzip spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation unserer Genexpression. Sie ermöglicht es unseren Zellen, auf verschiedenste äußere Einflüsse zu reagieren. Dazu gehören Ernährung, Stress sowie Umweltveränderungen wie Temperaturschwankungen oder UV-Strahlung, indem sie bestimmte Gene an- oder ausschaltet.

Dies geschieht durch das Hinzufügen oder Entfernen chemischer Markierungen an der DNA oder den sie umgebenden Histonen.

Diese Markierungen beeinflussen, ob ein Gen aktiv ist. In diesem Fall produziert es für verschiedene Körperfunktionen notwendige Proteine. Beispielsweise kann eine erhöhte Stressbelastung Gene aktivieren, welche unserem Körper helfen, besser auf Herausforderungen zu reagieren.

Diese Gene können verschiedene Prozesse wie zum Beispiel eine erhöhte Energieproduktion oder verstärkte Immunantwort steuern und uns so helfen, besser mit Stress umzugehen. Änderungen in unserer Ernährung können beeinflussen, wie Gene, die für die Verarbeitung von Nährstoffen zuständig sind, funktionieren.

Eine solche epigenetische Modifikation ermöglicht es unseren Zellen, sich flexibel an wechselnde Bedingungen anzupassen und trägt entscheidend zu unserer Gesundheit und Anpassungsfähigkeit bei.

Epigenetisches Prinzip

Veränderungen in der Genaktivität oder Genexpression durch Umweltfaktoren können von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Dabei ändert sich die DNA-Sequenz selbst nicht, wie es bei der klassischen genetischen Vererbung der Fall wäre. Dieser Vorgang ist in der Wissenschaft als epigenetische Vererbung bekannt.

Sie schlägt eine Brücke zwischen der genetischen Information und der Umwelt. Dadurch eröffnet sie eine neue Dimension für unser Verständnis von Genetik, Umwelt und Gesundheit.

Diese Form der Vererbung zeigt, dass die Interaktion zwischen Genen und Umwelt viel komplexer ist als bisher angenommen. Epigenetische Veränderungen leisten einen wesentlichen Beitrag zur biologischen Vielfalt, Anpassungsfähigkeit und Gesundheit von Organismen.

Die Möglichkeit, phänotypische Merkmale durch Genexpression zu beeinflussen, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern, hat weitreichende Auswirkungen. Und das nicht nur auf die Biologie, sondern auch auf viele andere Bereiche wie zum Beispiel die Medizin oder auch die Landwirtschaft.

Mechanismen der epigenetischen Vererbung

Verschiedene Mechanismen sind an der epigenetischen Vererbung beteiligt. Diese können in unterschiedlichen Kombinationen und Kontexten auftreten, darunter DNA-Methylierung, Histon-Modifikation und der Einfluss von nicht codierenden RNAs.

DNA-Methylierung

DNA-Methylierung ist ein wichtiger Prozess bei der epigenetischen Modifikation und entscheidend dafür, wie aktiv bestimmte Gene in unseren Zellen sind. Dies geschieht, indem eine Methylgruppe an bestimmten Stellen der DNA angefügt wird.

Eine Methylgruppe ist eine kleine chemische Einheit, welche aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen besteht. Solche Stellen finden sich häufig dort, wo die Bausteine Cytosin und Guanin direkt nebeneinander in der DNA-Kette vorkommen, bekannt als CpG-Dinukleotide.

Wenn ein Gen methyliert ist, also diese Methylgruppe trägt, kann es weniger aktiv sein oder sogar ganz abgeschaltet werden. Das liegt daran, dass die Methylgruppe bestimmte Proteine daran hindert, an die DNA anzudocken. Diese Proteine sind normalerweise notwendig, um das Gen „anzuschalten“ und es abzulesen.

Diese Art der Genregulation ist sehr wichtig für unsere Entwicklung und hilft unseren Zellen, unterschiedliche Funktionen auszuüben. Außerdem schützt die Methylierung unsere DNA vor Schäden. Diese Schäden können durch bewegliche DNA-Abschnitte entstehen, welche auch als transponierbare Elemente oder „springende Gene“ bekannt sind. Ohne diesen Schutz könnten diese Elemente unsere genetischen Informationen stören.

Histon-Modifikation

Ein anderer Mechanismus der epigenetischen Vererbung ist die Histon-Modifikation. Histone sind Eiweiße (Proteine), die zusammen mit DNA-Molekülen einen sogenannten Chromatin-Komplex bilden. Je nachdem, welche Struktur der Chromatin-Komplex besitzt, können die Gene mehr oder weniger gut abgelesen werden.

Ist der Chromatin-Komplex sehr dicht und die Abstände zwischen den Histonen sehr klein, ist die Genzugänglichkeit erschwert. Bei einem lockeren Chromatin-Komplex können die Gene dagegen besser abgelesen werden. Genetische Prozesse können die Dichte des Chromatin-Komplexes und damit auch die Genzugänglichkeit verändern.

Vererbung und Epigenetik: Hände über Generationen

Nicht codierende RNAs

Ribonukleinsäure (kurz: RNA) transportiert und übersetzt DNA-Informationen. Da sie in der Lage ist, die Genaktivität zu verändern, spielt RNA auch eine wichtige Rolle bei der Genexpression. Einige dieser Makromoleküle können DNA nur übersetzen, aber keine Proteine produzieren.

Diese nicht-kodierenden RNAs können jedoch Chromatinstrukturen verändern und die Aktivität bestimmter Enzyme beeinflussen. Zusätzlich ermöglichen sie eine feine Regulierung der Genaktivität, welche für die schnelle Anpassung an Umweltveränderungen unerlässlich ist. Ihre Funktionen sind vielfältig und für die Aufrechterhaltung zellulärer Prozesse von entscheidender Bedeutung.

RNA-Interferenz

Auch wenn die RNA-Interferenz streng genommen kein epigenetischer Mechanismus ist, kann sie die Genexpression regulieren und kann deshalb in diesem Zusammenhang ebenfalls genannt werden.

Basierend auf einer Interaktion von RNA, mRNA und verschiedenen Enzymkomplexen führt die RNA-Interferenz zu einer zielgerichteten Deaktivierung von bestimmten Genen. Dies gelingt, indem die Umsetzung der Gene in Proteine verringert wird.

Die RNA-Interferenz wird heute zum Beispiel in der Pflanzenzucht eingesetzt, um Pflanzen vor Krankheiten oder dem Befall von Schädlingen zu schützen.

Epigenetische Vererbung: Wissenschaftliche Studien

Nachdem sie lange Zeit umstritten waren, widmen sich immer mehr nationale und internationale Wissenschaftler den epigenetischen Fragestellungen. Diese Fragestellungen gehören sowohl zur Grundlagenforschung als auch zu Bereichen, welche in Zukunft neue Anwendungsmöglichkeiten eröffnen könnten.

Hier sind vor allem Tierstudien zu nennen, aber auch in einigen (wenigen) Humanstudien konnten Hinweise auf epigenetische Mechanismen gefunden werden.

Tierstudien

Eine bekannte Tierstudie zum Thema epigenetisches Prinzip stammt von Brian Dias & Kerry Ressler (2014). Die amerikanischen Wissenschaftler haben Mäuse auf einen bestimmten Geruch konditioniert und dann das Verhalten der Nachkommen untersucht.

Sie beobachteten, dass auch die folgenden Generationen auffällig ängstlich auf den konditionierten Geruch reagierten. Dies geschah, obwohl diese Tiere nie selbst schlechte Erfahrungen mit dem Geruch gemacht hatten. Sie scheinen jedoch eine Art genetisches Gedächtnis zu besitzen, das ihr Verhalten beeinflusst.

In einer anderen Studie beschäftigte sich ein Forscherteam aus München mit der Frage, wie epigenetisch relevante Informationen vererbt werden. Sie verpaarten dazu gezielt dicke und schlanke Mäuse, um dies zu untersuchen.

Es zeigte sich, dass fettreiche Ernährung der Elterntiere ihre Nachkommen anfälliger für die Entwicklung von Fettleibigkeit und Diabetes machte. Für Wissenschaftler ist das ein Hinweis darauf, dass die Vererbung der Fettleibigkeit über epigenetische Mechanismen erfolgt.

Auch wenn sich die Befunde aus tierexperimentellen Studien nur bedingt auf den Menschen übertragen lassen, könnten diese Erkenntnisse dennoch im Humanbereich wichtig sein. Sie ermöglichen es, neue Forschungsfragen zu stellen und zu beantworten.

Verstörtes Mädchen versteckt sich

Humanstudien

Auch in mehreren Studien mit Menschen fanden sich verschiedene Hinweise auf die Auswirkungen epigenetischer Vererbung. US-amerikanische Forscher untersuchten Mütter, die in ihrer Kindheit ein Trauma erlebt hatten, sowie die Auswirkungen dieser traumatischen Erfahrungen auf die neuronale Entwicklung ihrer Kinder.

Sie entdeckten, dass Babys, deren Mütter emotionale Vernachlässigung erfahren hatten, stärkere funktionelle Verbindungen in drei Hirnarealen aufwiesen. Diese Areale sind für die Gefühlsregulierung verantwortlich.

Unklar ist, welche Folgen diese stärkeren Verbindungen haben: Eine erhöhte Anfälligkeit für Angst oder eine erhöhte Belastbarkeit – beides ist möglich.

In einer neuen Studie des Umweltbundesamtes untersuchten Forscher genetische Veränderungen bei einer erhöhten Feinstaubbelastung. Es zeigte sich, dass eine erhöhte Feinstaubbelastung mit epigenetischen Veränderungen in der DNA-Methylierung und in der Expression von microRNAs einherging.

Es ist denkbar, dass sich diese Modifikationen auch in nachfolgenden Generationen zeigen und sich zum Beispiel in einer erhöhten Anfälligkeit für Atemwegserkrankungen niederschlagen. Hierzu ist jedoch noch weitere Forschung erforderlich, insbesondere die Untersuchung der möglichen Veränderungen über Generationen hinweg.

Ausblick auf zukünftige Forschung in der epigenetischen Vererbung

Die Erforschung der epigenetischen Mechanismen ist noch längst nicht abgeschlossen. Sie birgt großes Potenzial, denn diese Erkenntnisse zur Genexpression und Regulation über epigenetische Mechanismen können in vielen Bereichen genutzt werden.

So könnten sich beispielsweise in der Medizin neue Ansätze für Prävention, Diagnostik und Therapie entwickeln, von denen viele Patienten profitieren könnten. Es ist möglich, die Prinzipien der Epigenetik zu nutzen, um Krankheitsrisiken frühzeitig zu erkennen. Dadurch können Therapien entwickelt werden, welche individuell auf die genetischen Profile von Patienten zugeschnitten sind.

Auch in der Landwirtschaft können diese Mechanismen sinnvoll genutzt werden. Zum Beispiel, um besonders robuste Pflanzen zu züchten, welche weniger anfällig für Schädlinge oder die Folgen des Klimawandels sind.

Auf der Grundlage der epigenetischen Forschung könnten präventive Maßnahmen entwickelt werden. Diese Maßnahmen würden darauf abzielen, Modifikationen zu verhindern oder umzukehren, welche durch ungünstige Bedingungen wie Stress oder Umweltgifte entstehen.

Trotz dieser und anderer vielversprechender Aussichten dürfen wir die Risiken und ethischen Aspekte nicht vernachlässigen, welche mit der genetischen Forschung verbunden sind.

Es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass epigenetisch bedingte Modifikationen unerwünschte Nebenwirkungen haben können. Je nach Einsatzbereich können diese Nebenwirkungen negative Folgen für die Gesundheit, Umwelt oder Wirtschaft haben.

Umso wichtiger wird es sein, Richtlinien und Standards für den Umgang mit epigenetischen Informationen festzulegen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass sie gerecht und verantwortungsvoll genutzt werden.

Nähere Informationen zu diesen und anderen Themen sind natürlich auch Bestandteil der Epigenetik Coach Ausbildung von HealVersity.

HealVersity Divider

Dr. med. Manuel Burzler, Mitgründer von HealVersity, ist ein Pionier im Bereich der funktionellen Medizin und Epigenetik. Seit der Gründung im Jahr 2020 setzt er seine umfassenden Kenntnisse ein, um HealVersity an die Spitze der innovativen Gesundheitsbranche zu führen.

Unter seiner Leitung hat das Unternehmen nicht nur eine führende Rolle in der Entwicklung von Konzepten für Epigenetik-Coachings eingenommen, sondern bietet auch die erste zertifizierte Fortbildung in diesem Bereich an.

Er verbindet in seiner Arbeit Persönlichkeitsentwicklung mit medizinischer Expertise, um neue Wege für das Wohlbefinden der Menschen zu schaffen.

Dr. med. Manuel Burzler | Epigenetik-Coach
Dr. med. Manuel Burzler
Med. Experte für funktionelle Medizin & Epigenetik
Ausbilder und Gründer
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